Frauen-EM: Was jetzt für welchen Halbfinalisten spricht

analyse

Stand: 21.07.2025 09:53 Uhr

Vier starke Teams stehen im Halbfinale der Frauen-EM. Wer setzt sich durch? Wir nehmen Stärken und Schwächen von Deutschland, Spanien, Italien und England unter die Lupe.

Von Sonja Riegel

Deutschland, Spanien, Italien und England kämpfen um den Titel bei der Europameisterschaft in der Schweiz. Ein Blick in die Daten des Global Soccer Networks (GSN) zeigt, was nun für welches Team spricht – und was sie vor dem Halbfinale verbessern müssen.

England

England ist mit einem Rückschlag ins Turnier gestartet – dem 1:2 gegen Frankreich. Danach fing sich das Team und besiegte erst die Niederlande mit 4:0 und dann Wales mit 6:1. In einem denkwürdigen Viertelfinale setzten sich die „Lionesses“ dann mit 3:2 im Elfmeterschießen gegen Schweden durch.

England hat das Viertelfinale gegen Schweden nur mit Ach und Krach überstanden. Das Elfmeterschießen ging über 14 Versuche.

1. Flexible Systeme
England hat gezeigt, dass es mit 4-2-3-1 und 4-3-3 zwei unterschiedliche taktische Systeme stark umsetzen kann – je nachdem, ob der Fokus auf defensiver Stabilität im Zentrum oder auf Seitenverlagerungen und viel Präsenz in den Halbräumen liegt. Dabei hat die Mannschaft auch schon innerhalb eines Spiels umgestellt – ein Zeichen hoher taktischer Reife.

2. Gute defensive Abstimmung
Die Abstimmung zwischen Abwehr und Mittelfeld klappt bei England sehr gut. Die Sechser sichern bei Ballbesitz konsequent ab, sodass der Gegner nicht in gute Umschaltsituationen kommen kann. Auch bei Standards verteidigt die Mannschaft diszipliniert und mit klaren Zuordnungen. All das ist nicht spektakulär, aber sehr durchdacht und kann in einem Turnierverlauf den entscheidenden Unterschied machen.

3. Erfahrung und Nervenstärke
Das englische Team ist seit Jahren im Kern eingespielt und hat schon viele Erfahrungen in K.o.-Spielen bei EM und WM-Endrunden gesammelt. Der Titelverteidiger ist also belastbar und nervenstark. Übrigens auch, wenn mal ein Rückstand aufgeholt werden muss, wie es gegen Schweden zunächst im Spiel und dann im Elfmeterschießen der Fall war. Die Spielerinnen behielten die Ruhe – und die erfahrene Lucy Bronze blieb vom Punkt aus cool, als es darauf ankam.

England hat das Viertelfinale gegen Schweden nur mit ach und Krach überstanden. Das Elfmeterschießen ging über 14 Versuche.

In den bisherigen Turnierspielen ist immer wieder das Tempo aus dem englischen Spiel verschwunden. Vor allem bei Führungen verwaltet das Team zu häufig und wird zu passiv. Außerdem hat man es bislang kaum geschafft, durch gute Kombinationen offensiv durchzubrechen – besonders gegen tief stehende Gegner.

Italien

Italien hat von den vier Halbfinalisten auf dem Papier die schlechteste Gruppenphase gespielt. Auf ein 1:0 gegen Belgien folgten ein 1:1 gegen Portugal und ein 1:3 gegen Spanien. Im Viertelfinale drehte man dann aber auf und schickte mit Norwegen einen der Mit-Favoriten mit 2:1 nach Hause.

Die italienischen Minimalistinnen sind erstmals seit 28 Jahren in ein Em-Halbfinale eingezogen

1. Hohe Variabilität
Italien ist das taktisch variabelste Team des Turniers: In den vier Spielen hat die Mannschaft in vier verschiedenen Grundordnungen agiert und sich damit immer flexibel dem Gegner angepasst. Das alles wirkte strategisch durchdacht mit klarer Rollenverteilung und großer Disziplin.

2. Kompakte Verteidigung

Italien setzt in der Verteidigung auf Kompaktheit. Es wird in Ballnähe verschoben, Flügelräume werden verdichtet und dadurch viele Pässe abgefangen. Bei Flanken rückt die Verteidigung ein und die Sechser stellen konsequent den Rückraum zu. Für die Gegnerinnen ist es dadurch schwer, zu klaren Torchancen zu kommen, selbst wenn sie optisch überlegen sind.

3. Klares Spiel nach vorn
Wenn das italienische Team den Ball erobert, geht es sofort ins Umschaltspiel. Es wird schnell entweder über die Außenbahnen oder das Zentrum nach vorne gespielt, die zweite Reihe rückt sofort nach und kann so Ballverluste direkt auffangen. Eine Spielweise, die ideal zur Rolle des Außenseiters passt.

Wenn Italien selbst das Spiel machen muss, wirken die Versuche oft ideenlos und die Angriffe bleiben ohne Tempo. Aus langen Ballbesitzphasen hat man sich im bisherigen Turnierverlauf selten große Raumgewinne erspielt. Außerdem ist die Zahl an klaren Torchancen pro Spiel gering, Italien lebt bislang also von seiner Effizienz.

Deutschland

Deutschland hat die ersten beiden Gruppenspiele durchaus souverän gewonnen – 2:0 gegen Polen und 2:1 gegen Dänemark. Gegen Schweden gab es mit 1:4 einen herben Dämpfer. Im Viertelfinale gegen Frankreich trumpfte das DFB-Team dann auf und gewann nach über 100 Minuten Unterzahl mit 6:5 im Elfmeterschießen.

Der Jubel im deutschen Team nach dem gewonnenen Elfmeterschießen gegen Frankreich kannte keine Grenzen.

1. Eingespieltes System
Die Spielidee von Bundestrainer Christian Wück fußt auf einem 4-2-3-1. Es vereint Spielkontrolle im Zentrum, das Spiel über die Flügel und eine gute Absicherung über die Doppelsechs, auf der Sjoeke Nüsken und Elisa Senß bislang in jeder Partie abräumten. Durch gute Bewegungen innerhalb des taktischen System findet das Team zudem immer wieder Räume, die durch kluge Pässe bespielt werden.

2. Starkes Pressing
Die deutsche Mannschaft setzt die Gegnerinnen bei deren Ballbesitz nicht blind unter Druck, sondern agiert mit klaren Auslösern im Pressing. Nach einem Ballverlust geht das Team binnen Sekunden ins Gegenpressing über – auch hier durchdacht mit mehreren Spielerinnen. Auch dabei tun sich die Sechser besonders hervor, deren Rückzugsbewegung auch dann funktioniert, wenn das Gegenpressing zuvor nicht erfolgreich war.

3. Taktische Disziplin
Die Spielerinnen kennen ihre Rollen – in der Formation und in ihrer taktischen Funktion. Dadurch greifen die Abläufe sowohl mit als auch gegen den Ball sehr sauber. Das Spiel der Deutschen ist dadurch zumeist sehr strukturiert und wirkt wie aus einem Guss.

Deutschland erspielt sich viele Überzahlsituationen, der letzte Pass oder der Abschluss sind dann aber zu oft zu unpräzise. Außerdem hat das Wück-Team zuletzt zwei Rote Karten kassiert und wegen dieser mangelnden individuellen Disziplin in Unterzahl agieren müssen. Die erfolgreiche Doppelsechs wird zudem auf jeden Fall auseinandergerissen: Nüsken fehlt gegen Spanien gesperrt.

Spanien

Spanien hat eine perfekte Gruppenphase hingelegt: 5:0 gegen Portugal, 6:2 gegen Belgien und 3:1 gegen Italien. Das Team ist der einzige Gruppensieger, der es ins Halbfinale geschafft hat. Dafür sorgte ein dominantes, aber schmuckloses 2:0 gegen Gastgeber Schweiz.

Die Spanierinnen sind bisher die Mannschaft des Turniers. In ihren bisherigen vier Spielen haben sie 16 Tore erzählt.

1. Dominantes Auftreten
Spanien hat den meisten Ballbesitz – rund 75 Prozent in den bisherigen Spielen. Mit diesem Ballbesitz kontrolliert die Mannschaft auch den Rhythmus des Spiels. Durch die technische Qualität zirkuliert der Ball und die Gegnerinnen werden in die passive Rolle gezwungen.

2. Viel Raumkontrolle
Im Zentrum ist Spanien ständig in Bewegung, die Räume zwischen Abwehr und Mittelfeld des Gegners sind ständig dynamisch besetzt. Damit setzt das Team die Kontrahentinnen unter Stress und kommt immer wieder gefährlich in Strafraumnähe – und das mit Weltklassespielerinnen wie Aitana Bonmati oder Alexia Putellas.

3. Aggressives Gegenpressing
Wenn den ballsicheren Spanierinnen doch mal das Spielgerät verlorengeht, wird sofort Druck ausgeübt – nicht nur auf die Ballführende, sondern auf alle naheliegenden Anspielstationen. Dadurch werden Konter unterbunden und Spanien bringt sich sehr schnell wieder in Ballnähe – und nicht selten auch wieder in Ballbesitz.

Das Gegenpressing kann für Spanien zum Problem werden, nämlich wenn es mit einem langen Pass überspielt wird. Das Team ist also bei Kontern durchaus anfällig. Außerdem fehlt den Spielerinnen, auch aufgrund der pyhsischen Voraussetzungen, in körpertonten Zweikämpfen und in der Luft die Präsenz – mit einer robusten Spielweise könnte sich Deutschland also einen Vorteil verschaffen.


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