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Die DFB-Frauen haben nach der Verletzung ihrer Kapitänin gegen Polen ihren Teamgeist gezeigt. Der 2:0-Erfolg im ersten Spiel bei der EM in der Schweiz am Freitagabend glückte auch dank einer taktischen Neuausrichtung.
Zuerst bejubelten Gabi und Florian Gwinn genauso wie der Großteil der knapp 16.000 Fans im Kybunpark von St. Gallen noch eine starke Grätsche ihrer Tochter Giulia. Die DFB-Kapitänin hatte einen Schuss von Polens Superstar Ewa Pajor erfolgreich geblockt. Doch Sekunden später war da wieder die große Sorge. „Giuli“ blieb verletzt am Boden liegen und hielt sich das linke Knie.
Als Schiedsrichterin Stéphanie Frappart zur Pause pfiff, griff Mutter Gabi auf der Tribüne gleich nach ihrem Handy, um Kontakt zu Giulia aufnehmen. Kurz darauf verließen die Eltern gemeinsam ihre Plätze – und sollten bis zum Ende des Spiels auch nicht mehr zurückkommen.
Angst vor Verletzungen spielt bei den Gwinns immer mit
Seit den beiden Kreuzbandrissen hatten sich die Eltern ohnehin latent Sorgen gemacht, ihre Tochter könnte sich wieder schwer verletzen. Gabi Gwinn verzichtete aus diesem Grund auch auf so manches Spiel von Giulia. Am Freitagabend war zumindest noch einmal kurz die Hoffnung aufgekeimt, Familie Gwinn und mit ihr ganz Fußball-Deutschland könnte mit dem Schreck davongekommen sein.
Nach der Behandlungspause im deutschen Strafraum wurde Gwinn erst vom Feld geführt, joggte sie schon wieder langsam zur Mittellinie und kehrte sogar noch einmal auf den Platz zurück. Doch beim ersten Versuch, richtig loszulaufen, sank sie erneut zu Boden und musste mit Tränen in den Augen ausgewechselt werden.
Auf dem Weg nach draußen wurde sie noch von ihrer Teamkollegin Lea Schüller in die Arme genommen: „Ich habe ihr gesagt, dass sie ruhig bleiben soll und dass ich für sie da bin. Sie weiß ja nicht, was ist“, erzählte die Mittelstürmerin nach der Partie. „Wenn man Schmerzen hat, ist es natürlich immer nicht einfach.“ Bisher wurde vom DFB lediglich eine Knieverletzung bestätigt. Eine MRT-Untersuchung soll am Samstag eine Diagnose bringen.
Wamser meistert Kaltstart nach Einwechslung für Gwinn
In der 40. Spielminute hatte Gwinn beim Stand von 0:0 ausgewechselt werden müssen. Für die rechte Abwehrseite kam Carlotta Wamser – für die 21-Jährige war es im dritten Länderspiel überhaupt gleich das EM-Debüt. Und die Frankfurterin, die als eine der Letzten auf den Europameisterschaftszug aufgesprungen war, taugte als Sinnbild dafür, wie sich Deutschland nach einer durchwachsenen ersten Hälfte noch den Sieg verdiente.
Man kommt natürlich nicht gern rein, wenn sich eine Mitspielerin verletzt. Aber ich habe versucht, das Beste draus zu machen. Und ich bin froh, dass wir die wichtigen drei Punkte mitnehmen konnten.
„Wir haben Carlotta gleich den Mut zugesprochen“, berichtete Torhüterin Ann-Katrin Berger und stellte zufrieden fest: „Wir haben großen Teamgeist gezeigt.“ Wamser, die nach eigener Aussage „sehr, sehr nervös“ war, überstand die letzten Minuten in der ersten Hälfte und freute sich dann, dass es für alle nach der Pause „einen Neustart“ gab. Mit großem Einsatz machte sie hinten ihre Seite dicht und bekam dafür mehrfach Szenenapplaus. Vorne leitete sie mit ihrem Tempo gleich beide Tore ein.
Nüsken und Senß nach der Pause als Taktgeberinnen
Christian Wück hatte aber nicht nur mit der Einwechslung das richtige Gespür. Als sich durch die Behandlungspause von Gwinn die Möglichkeit geboten hatte, rief der Bundestrainer mit Sjoeke Nüsken und Elisa Senß seine Doppelsechs zu sich und erläuterte dem Duo, wie es in einer bis dato teilweise wilden Partie die Kontrolle übernehmen sollte.
„Er wollte, dass wir im Mittelfeld stabiler sind, dass wir uns besser absprechen und nicht auf einer Höhe agieren“, erklärte Nüsken. „Ich habe dann in der zweiten Halbzeit versucht, die Wege mit nach vorn zu machen. Wir waren dann auch einfach aggressiver in der Box und haben dadurch unsere beiden Tore geschossen.“
Teamgeist war nach dem Abpfiff „das Wichtigste“
Beim 1:0 von Jule Brand (52.) und dem 2:0 von Lea Schüller (66.) war die 24-Jährige vom Chelsea FC genauso in den Strafraum aufgerückt wie bei ihrer eigenen Großchance, als sie den Ball denkbar knapp am Tor vorbeiköpfte (62.). Senß konzentrierte sich derweil auf die Defensive. Und Wamser? Die setzte noch tief in der Nachspielzeit zu einem beeindruckenden Vollsprint von hinten rechts bis in den gegnerischen Strafraum an, wurde aber von Giovanna Hoffmann übersehen.
Die deutschen Nationalspielerinnen um Torschützin Jule Brand (2.v.r.) bejubeln einen Treffer
Am Ende stand ein verdienter 2:0-Erfolg, der aber nur kurz gefeiert wurde. Im vollen Lauf verließen die DFB-Frauen dann den Platz. „Wir sind alle zu Giuli in die Kabine gegangen. Wir wollten als Team zusammenstehen. Und das ist im Moment das Wichtigste“, betonte Nüsken.
Familie steht Gwinn nach Verletzung bei
Auf zwei Gehhilfen gestützt, aber zumindest äußerlich schon wieder ein bisschen gefasst, machte die Verletzte selbst einen Bogen um die Mixed Zone. Ihre Eltern, die vor dem Spiel noch fröhlich berichtet hatten, aufs Pendeln vom Bodensee zu verzichten und stattdessen ihren Sommer-Campingurlaub bei der EM in der Schweiz zu verbringen, waren bei ihr. So wie auch schon am Mittwoch, als die Tochter in Zürich noch ihren 26. Geburtstag gefeiert hatte.
In St. Gallen wurde Giulia Gwinn vom Publikum mit Standing Ovations verabschiedet. Aus Sicht des deutschen Teams hoffentlich nur für kurze Zeit. „Wir sind alle ein bisschen bedrückt. Wir hatten uns das anders vorgestellt“, sagte Nüsken und fügte hinzu: „Wir hoffen, dass es Giuli jetzt soweit ganz gut geht. Wir haben für Giuli gespielt und für sie gekämpft.“
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